REGIOGELD: STAND DER DINGE 2020
Regiogelder versuchen, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stimulieren und regionale Wertschöpfungsketten zu knüpfen, indem neue Zahlungsmittel für Regionen bereitgestellt werden. Zahlreiche Experimente haben zahlreiche Erfahrungen entstehen lassen.
Den Regiogeldern fehlen aber weiterhin relevante Aspekte ihres Tuns:
- tragfähige Geschäftsmodelle, die die Aufwände zur Organisation des Regiogeldes abdecken
- eine technische Infrastruktur, die den digitalen Gewohnheiten der 2020er Jahre angemessen ist
- eine Durchdringung in der Unternehmerschaft und bei privaten Haushalten, die das Erreichen kritischer Dichte und kritischer Masse ermöglicht
REGIOGELD MIT REGIONALEN INVESTITIONEN VERKNÜPFEN
Aus der oben beschriebenen Ausgangslage entstand beim Elbtaler eine Idee für eine Weiterentwicklung des Regiogeld-Systems. Diese Idee verknüpft die Möglichkeit zur Investition in regionale Unternehmen mit den Fähigkeiten umlaufenden Regiogeldes.
Hinter dieser Idee stehen folgende Überlegungen und Beobachtungen:
- zahlreiche Menschen suchen in einem Niedrigzins-Umfeld nach Wegen, ihr Geld angemessen zu investieren
- es mangelt an guten Investitionswegen in regionale Unternehmen für Kleininvestoren
- die Kooperation zwischen Elbtaler e.V. und der Energiegenossenschaft egNEOS eG zeigt, dass Euro-Investitionen in Energieprojekte in Form von Regiogeld verzinst werden können. Dabei fungiert die Energiegenossenschaft als Investitionssammler einerseits und als Regiogeld-Nachfrager im Elbtaler-System andererseits, um ihren Zinszahlungen nachkommen zu können. Dies stimuliert das Regiogeld-System, weil der zinszahlende Investor eine regelmäßige Nachfrage nach Regiogeld hat.
- Erfahrungen mit Investitionen in regionale Unternehmen gibt es bereits im Umfeld der RegionalWert AG und ihrer Schwestern.
Daher entstand die Idee,
- eine Investitionsgesellschaft zu gründen,
- die Geld von Bürger*innen einsammelt und in regionale Unternehmen investiert.
- Resultierenden Zinszahlungen könnten dann in Regiogeld statt Euro ausgeschüttet werden,
- um von den Bürgerinvestoren bei den teilnehmenden Unternehmen ausgegeben werden.
Organisiert werden muss sowas idealerweise über ein digitales System, um die Aufwände gering und die Skalierbarkeit hoch zu halten.
Die Vorteile sind zahlreich:
- dieser Ansatz spricht nicht nur Leute an, die nachhaltig wirtschaften wollen, sondern auch Menschen, die schlicht nach Investitionsmöglichkeiten für ihre Ersparnisse suchen. Somit verbreitert sich die Basis der Teilnehmenden.
- Regionale Unternehmen haben regelmäßig Bedarf an Investitionsmitteln, die sie bislang oft nur aus etablierten Finanzkanälen wie Banken bekommen. Ein Weg der Bürgerfinanzierung bietet einen weiteren Finanzierungskanal für diese Unternehmen und damit eine Integrationsmöglichkeit in ein regionales Netzwerk.
- Die Ausschüttung der Rendite in Regiogeld ist kein Muss. Passiert sie aber in Regiogeld, so wird die Kaufkraft lokal gebunden und die Regiogeld-Effekte treten zutage.
- Die Nachfrage nach Regiogeld in solch einem System ist dadurch dauerhaft gegeben, weil die finanzierten Unternehmen ihren Zinspflichten nachkommen müssen. Dadurch entsteht ein Eigeninteresse bei diesen, die eigenen Produkte und Dienstleistungen auch gegen Regiogeld zu verkaufen, weil es einen garantierten Abnahmekanal für die Regiogeld-Erlöse gibt: die Zinszahlungen. Dadurch ist eine Art „monetäre Umwälzpumpe“ in das Gesamtsystem integriert, etwas was Regiogeldern bislang oft fehlt.1
EIN DIGITALES SYSTEM: INVESTITIONSPLATTFORM, KONTENSYSTEM, SMARTPHONE-APP
Das oben beschriebene System kann nur mit angemessener digitaler Unterstützung halbwegs aufwandsarm aufgesetzt und administriert werden. Zudem erwarten Haushalte und Unternehmer*innen heute eine Abbildung solcher Dienste auch in digitaler Form, da sie die Nutzung von Online-Banking und Zahlungen bereits häufig digital durchführen. Ein ganzheitlich einsetzbares System würde daher aus mindestens drei integrierten Modulen bestehen, die ineinander greifen:
- ein Online-Marktplatz für Investitionen, in die Unternehmen ihre Investment-Angebote einstellen und Bürgerinvestoren Geld in diese Angebote stecken können, sowie ihre Investments verwalten können.
- Ein Kontensystem würde das Empfangen von Zinszahlungen für Investoren, aber auch das Entgegennehmen von Erlösen in Regiogeld bei Unternehmern oder Mitarbeitenden erlauben.
- Eine Smartphone-App würde mobil Zahlungsvorgänge innerhalb dieses Kontensystems ermöglichen, wie das der moderne Nutzer erwarten würde.
Die folgende Grafik zeigt das Zusammenspiel zwischen Unternehmern und Investoren, sowie den Einsatz des digitalen Systems und das Zusammenspiel seiner Module:
Dabei wird sichtbar, dass das digitale System sowohl Funktionen für die Administratoren, als auch solche für Unternehmen und Investoren bereitstellt. Es erleichtert den Umgang mit der Plattform und erlaubt den reibungslosen und aufwandsarmen Ablauf der Vorgänge durch diverse Unterstützungsfunktionen.
Erweitert könnte solch ein System auf dezentralen Datenbanken wie Blockchain aufgesetzt und um dort mögliche Funktionen wie SmartContracts erweitert werden, um das integrierte Finanzsystem für neuere Entwicklungen vorzubereiten und offen für andere Plattformen zu machen. Auf der dezentralen Datenbank könnten Assets verwaltet werden und handelbar gemacht werden, wie z.B. Unternehmensanteile oder Darlehensverträge oder auch die „Coins“ des Regiogeldes.
STRATEGIE: VORGEHEN ZUR REALISIERUNG
Um solch ein System zu erproben braucht es folgende Bausteine:
- mindestens eine, besser mehrere Regiogeld-Initiativen, die solch einen Ansatz erproben wollen
- die Gründung einer oder mehrerer regionaler Investitionsgesellschaften, die als Träger fungieren
- ein Wissenstransfer zwischen bestehenden Erfahrungsträgern für die Etablierung und Administration von Regiogeld, sowie für die Kalkulation und Umsetzung von Investitionen in regionale Unternehmen sowie für die (Re-)Finanzierung von Bürgerinvestitionen
- Entwurf, Entwicklung und Erprobung des skizzierten digitalen Systems
- exemplarische Umsetzung des Verfahrens in den teilnehmenden Initiativen/Regionen sowie reflektierend-beobachtend-beratende wissenschaftliche Begleitung
Zur Realisierung könnte ein überregionales Forschungs- und Umsetzungskonsortium gebildet werden, welches das Vorhaben als Forschungs- und Entwicklungsprojekt positioniert und entsprechende Mittel bei Ausschreibungen einwirbt. Beispielhaft könnte die FONA-Initiative des BMBF oder Förderungen des BMWi oder Förderungen im Bereich Klimaschutz des BMU genutzt werden, was jeweils ein leicht anderes Framing des Gesamtvorhabens erfordern würde.
Expertise in der Software-Entwicklung sowie Verbindungen zu Blockchain-Entwicklern liegen beispielsweise beim Elbtaler e.V. vor.
Autor: Norbert Rost